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"heimat.kunden" – Ein Projekt von Dirk Raulf. Lippstadt 2020 - 2022
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Freitag, 1. Mai 2020
Ein halbes Jahr vor seinem Tod 1980 führte ich gemeinsam mit einem Freund ein Gespräch mit Thomas Valentin für ein Porträt im „Lippstädter Anzeiger“. Der Beitrag ist leider verschollen. Ein echter Schriftsteller, in Lippstadt! Er lebte in einer kleinen, mit Büchern vollgestopften Wohnung in einer Siedlung im Lippstädter Süden, sozialer Wohnungsbau, er wollte es so. Dostojewski, Pavese, Beckett, Kafka waren die Namen seiner Hausheiligen, die er uns nannte. Hermann Hesse hatte ihn als jungen Autor protegiert. An der Wand zwischen den Büchern ein Brecht-Porträt mit schwarzleeren Augenhöhlen von Horst Janssen. In Köln hing es jahrelang in meinem Zimmer, bis ich mit Frank-Patrick Steckel in Bochum die „Heilige Johanna“ von Brecht machte, meine zweite Arbeit am Theater. Irgendwann kam die Sprache auf Horst Janssen, den Steckel aus seiner Hamburger Zeit kannte. Als Mitbegründer der Schaubühne hatte er (Steckel) mit den jungen Bruno Ganz, Edith Clever gearbeitet, die vorher in Bremen gewesen waren, als Anfänger Mitte der 60er Jahre. Chefdramaturg am Haus war zur damaligen Zeit Thomas Valentin gewesen. Seltsame subkutane Verbindungen, Steckel hatte Valentin nie kennengelernt, aber mir schien, das Brecht-Bild wäre bei ihm besser aufgehoben, nun hat es also seinen Platz in Berlin. Valentin sprach auch von Jean Améry „Hand an sich legen“, ein halbes Jahr später nahm er sich das Leben. Wir nichts ahnenden Lese-Enthusiasten hatten ihn offenbar beeindruckt, er freute sich über den Artikel und sagte zu, bei einer von uns geplanten „Friedenswoche“ zu lesen. Wir verrichteten Zivildienst auf verschiedenen Stationen des Dreifaltigkeitshospitals und waren wild entschlossen, mit dieser Friedenswoche zur Verbesserung der Welt beizutragen. Kurzfristig sagte Valentin die Lesung ab, der Termin lag, wie sich später herausstellte, kurz vor seinem Suizid, wir konnten stattdessen kurzfristig Josef Reding gewinnen, den Dortmunder Arbeiterdichter, der sich in der Friedensbewegung engagierte. Reding ist erst Anfang dieses Jahres im Alter von 90 Jahren gestorben. Valentin hatte uns auch von seinem zwiespältigen Verhältnis zu Lippstadt erzählt, er war in den späten 40ern und 50ern Lehrer an der Realschule im Dusternweg und leitete einige Jahre die Volkshochschule, bis er mit seinem Romandebüt „Hölle für Kinder“ einigen Erfolg hatte und sich entschied, Schriftsteller zu werden. In seinem Roman „Die Unberatenen“ um die Figur des aufmüpfigen Schülers Rull reflektierte er die Zeit als Lehrer in Lippstadt in den 50ern und wurde dafür angefeindet, Nestbeschmutzer. In der Zeit in Bremen inszenierte Peter Zadek diesen Stoff, 1969 entstand daraus ein viel beachteter Film mit dem Titel „Ich bin ein Elefant, Madame“. Als wir 1980 das Gespräch mit Valentin führten, war Steckel gerade Oberspielleiter am Bremer Schauspiel, bevor er in den 80ern das Schauspielhaus Bochum übernahm, wo ich ihm begegnete. Eine Hinweistafel am Haus in der Leibnizstraße erinnert an Valentins Bleibe in Lippstadt.
Valentin widmete dem Detmolder Dichter mit dem Roman "Grabbes letzter Sommer" sein vielleicht wichtigstes Buch. Für das Drehbuch zum gleichnamigen Film erhielt V. 1981 den Grimme-Preis.