Blog durchsuchen | Impressum | Datenschutzerklärung


"heimat.kunden" – Ein Projekt von Dirk Raulf. Lippstadt 2020 - 2022
Original-Blog 2020
 
Blog 2020 als Buch
 
Texte Bilder Sounds Bücher
 
Videos Gespräche Kirchen.Klang
 
Förderung
Dienstag, 11. August 2020
1940 geboren, ist der Literaturwissenschaftler und Herausgeber Hartmut Steinecke zu Beginn dieses Jahres in Paderborn gestorben. Er war ein unermüdlicher Förderer des Werks der in Paderborn geborenen jüdischen Schriftstellerin Jenny Aloni (1917 – 1993), gab ihr 10bändiges Gesamtwerk heraus und gründete an der Universität Paderborn 1992 das Jenny-Aloni-Archiv.

In Alonis Tagebucheintrag vom 8.11.1938 heißt es:

Um zu erleben, was Geschichte ist, muß man Jude sein.
Wird man es uns entgelten lassen, daß einer sich vergaß?
Wird es ein Morgen geben und wenn, wie wird es aussehen.
Ich bitte nicht um viel, nur darum, daß die Juden, die hierbleiben müssen, zu essen und Frieden haben möchten. Aber ich fürchte, nicht einmal das wird sein.


Aloni wanderte 1939 ohne ihre Familie nach Israel aus und wurde eine der wichtigsten deutsch-israelischen Schriftstellerinnen. Ihre Familie kam in Konzentrationslagern um. Über ihren letzten Besuch in Paderborn unmittelbar nach der sog. Reichskristallnacht, dem Pogrom vom 9. und 10. November 1938, hat sie die Erzählung "Kristall und Schäferhund" geschrieben.

Immer wieder hat Jenny Aloni sich mit Paderborn und der NS-Zeit auseinandergesetzt, und nach Jahren des Schweigens und der Nichtbeachtung verlieh die Stadt der Dichterin 1967 ihren Kulturpreis. 20 Jahre später wurde die Herausgabe eines ersten Auswahlbandes ebenfalls unterstützt. Am 9. November 1993, wenige Wochen nach Alonis Tod, wurde ein Mahnmal an der Stelle der zerstörten Paderborner Synagoge errichtet.

Es gilt hier, eine wichtige regionale und internationale Schriftstellerin zu entdecken, die noch immer zu wenig Beachtung findet. Eine Lesung mit Texten von Jenny Aloni wird Teil des Programms sein, wenn Jürgen Overhoff und ich am 20. September zum ersten Mal seit 1938 die ehemalige Lippstädter Synagoge der Öffentlichkeit mit einem "Tag der Offenen Tür" zugänglich machen. In Zusammenarbeit mit dem derzeitigen Eigentümer, der ebenfalls an einer Öffnung des Ortes interessiert ist, und der Stadt Lippstadt wird es ein Programm mit Vorträgen, Lesungen, Führungen, Musik geben. Später dazu mehr. Save the date!

Sie sagen gedenken gedenken
weil sie immer vergessen
Ich sage vergessen vergessen
weil ich immer gedenke.


Tagebuch J. Aloni, 20.4.1983
Jenny Aloni, "... man müsste einer späteren Generation Bericht geben"

Ein literarisches Lesebuch zur deutsch-jüdischen Geschichte und eine Einführung in Leben und Werk Jenny Alonis.
Mit Erzählungen (u. a. "Kristall und Schäferhund"), Gedichten und Tagebucheinträgen sowie mit einem Vorwort und einem ausführlichen Text über Lebensweg und Werk von Jenny Aloni, beide verfasst von Hartmut Steinecke.

Mehr über Jenny Aloni erfährt man beim Online-Archiv Jüdische Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Westfalen oder beim bereits erwähnten Jenny Aloni Archiv.

*

Was Jenny Aloni (1917 – 1993) für Paderborn, ist Karen Gershon (1923 – 1993) für Bielefeld.

Sie wurde als jüngstes Kind des Architekten Paul Loewenthal und seiner Frau Selma geboren; ihr Vater baute u. a. das berühmte Bielefelder "Kachelhaus".

WIKIPEDIA: Die Loewenthals verarmten mit Beginn der nationalsozialistischen Diktatur 1933 zusehends. Der Vater, der der Familie durch seine Arbeit einen relativen Wohlstand hatte sichern können, erhielt keine Aufträge mehr und musste ihren Unterhalt nun mit Gelegenheitsarbeiten sichern. Den zunehmenden Diskriminierungen und Anfeindungen folgten weitere Ausgrenzungen. So musste Käthe 1936 die Sarepta-Schule der Von Bodelschwinghschen Anstalten verlassen und auf die Luisenschule – noch heute an der Paulusstraße – wechseln. (...) Ein großer Einschnitt in ihrem Leben erfolgte 1938. Gemeinsam mit ihrer Schwester Lise wurde sie mit dem Kindertransport nach Großbritannien verbracht. Ihre Eltern und Anne blieben in Bielefeld, wurden 1941 nach Riga deportiert und kamen unter ungeklärten Umständen um. (...) 1948 heiratete Karen einen Kunstlehrer, mit dem sie vier Kinder bekam. Von 1968 bis 1973 lebte die Familie in Israel, wurde dort aber nicht heimisch. Am 24. März starb die Schriftstellerin in London und wurde an der Seite ihrer Schwester Anne in Bristol begraben.

Neben Gedichten und Romanen veröffentlichte Karen Gershon 1992 ihre auf Englisch verfasste Autobiografie mit dem Titel A Lesser Child (dt. Das Unterkind). Auch von ihrer Schwester Lise Loewenthal-Montecorboli (1922 – 2003) existiert eine Autobiographie mit dem Titel Shalom, Ruth, Shalom.