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"heimat.kunden" – Ein Projekt von Dirk Raulf. Lippstadt 2020 - 2022
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Mittwoch, 1. Juli 2020
Aus dem SPIEGEL-Gespräch mit dem Regisseur Leander Haußmann, der zur Zeit Molières "Der Geizige" in der Übersetzung von Frank-Patrick Steckel am Thalia-Theater Hamburg per Video-Konferenzschaltung probt.

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Das Stück handelt von der Todsünde des Geizes. Warum ist das eine Todsünde? Weil keine Gesellschaft unter den Umständen eines doktrinären Geizes funktionieren kann. Mein Lieblingsthema ist in dieser Beziehung die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens. Da geht bei den meisten Menschen das Visier runter. Weil fleißige, bürgerliche Menschen doch nicht die soziale Hängematte von Sozial-Nassauern finanzieren. Vor lauter Geiz, Neid und Spießigkeit vergessen die Bürger aber, dass sie selbst ja auch das gleiche Geld bekommen würden. Es ist ihnen wichtiger, den anderen das Geld nicht zu gönnen, als selbst davon zu profitieren. Aber wir alle sind auf unsere Weise geizig. Der Grund dafür ist unsere Angst. Geiz und Neid gehen Hand in Hand, sie sind das Übel der Menschheit. Sie verursachen Kriege und Krankheiten. Sie machen unglücklich. Und am Ende machen sie uns arm.

SPIEGEL: Ist Angst immer lächerlich - oder ist sie manchmal auch ganz nützlich, zum Beispiel angesichts von bedrohlichen Viren?

Corona ist die Stunde des Geizigen, der Toilettenpapier hortet und die Regale leer kauft. Es ist die Stunde des Kontrolleurs, des Hilfspolizisten und des Erziehers. Nachbarn werden zur Denunziation ermutigt, der Pförtner darf dich zum Tragen einer Maske auffordern und seinem Hang zur Unhöflichkeit dabei freien Lauf lassen. Der alte, nervöse, hässliche Spießer zeigt seine Fratze. Vieles kenne ich in verschärftem Maße aus der DDR, deswegen bin ich natürlich besonders sensibel. Das alles passiert immer im Interesse einer höheren Sache, damals des Friedens und heute der Volksgesundheit. Wir haben die Diktatur des Proletariats ganz erfolgreich überstanden, nun versuchen wir das auch mit der Diktatur der Pandemie.

SPIEGEL: Was erinnert Sie an der augenblicklichen politischen Situation an das Leben unter einer Diktatur?

Die Humorlosigkeit. Der Humor bleibt in Diktaturen immer als Erstes auf der Strecke. Diktaturen müssen sich wahnsinnig wichtig nehmen, sonst funktionieren sie nicht. Das probate Mittel einer Diktatur ist die Verordnung. Gerechtfertigt durch einen Notstand, der das Leben auf der Straße diktiert. Die Verordnungen werden von der Polizei durchgesetzt. Die spielt derzeit eine größere Rolle, als ihr zusteht. Wenn sich in Stuttgart ein jugendlicher Mob bildet, Polizisten angreift und das in gewaltverherrlichenden Videos feiert, reden Politiker sofort von einer Antwort "mit aller Härte des Gesetzes". Ich würde aber gern mal statt eines Ausrufezeichens ein Fragezeichen sehen. Wie zum Beispiel: Wo kommt diese Wut her? Was können wir mit diesen Kids tun, damit so was eben nicht passiert?
Cassavetes über Cassavetes

Das Buch, in dem John Cassavetes über sich, seine Anliegen, seine Filme Auskunft gibt. Eines der wichtigsten Bücher über Film (und Kunst), die es gibt.

"Ich mache gern schwierige Filme, bei denen die Leute schreiend rauslaufen. Ich bin schließlich nicht in der Unterhaltungsbranche."

"Als Künstler müssen wir vieles versuchen; vor allem müssen wir wagen zu versagen."

"Wir nehmen uns nicht die Zeit miteinander, verletzlich zu sein."

John Cassavetes (1929 – 1989)